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FLORIAN RICHTER
30.4. bis 2.6.2013
Darf man diesen Künstler, der sich mit der Kamera auch den fernen Wolkenlandschaften über dem Schwarzwald nähert, einen Romantiker nennen? Man darf, denn Richter bekennt freimütig, dass ein Museumsbesuch in Bernau und die Begegnung mit den Gemälden Hans Thomas impulsgebend für seine Kunst waren. Unzweifelhaft steht er mit seinen stillen, menschenleeren Aufnahmen in der Tradition der großen Landschaftsmalerei. Er malt, zeichnet und radiert mit der Kamera, seine Aufnahmen führen uns in die verborgene Welt der Träume, Sehnsüchte und Gedanken.
Antje Lechleiter
Badische Zeitung
FLORIAN RICHTER – FOTOGRAFIEN
Eine Einführung von Gerhard Stromberg
(Typoskript zur Rede vom 29.4.2013)
Mit Florian Richter stellen wir einen zeitgenössischen bildenden Künstler vor, der ausschließlich mit dem Medium Fotografie arbeitet.
Schon dies macht ihn außergewöhnlich, denn er behauptet sich mit seinen Bildern in einer Kunstzene, die, zumindest während der vergangenen 20 Jahre oder so, oft von Künstlern geprägt wird, die ihre Arbeitsmedien nach dem Grabbelkasten-Prinzip wählen. Für diese Art des Kunstschaffens ist das Konzept die Mutter allen Schaffens.
Das Werk, sei es Bild, Skulptur, Installation, Performance oder ein Mix aus allen möglichen Elementen, dient dem Transport des Konzeptes, es wird zu seinem Lakaien und Laufburschen.
Das ist traurig und gefährlich,weil es der Kunst eine gesellschaftliche Funktion aufzwingt.
Wissen Sie, der Kunst bleibt dann ungefähr soviel Leben wie einem Ginsterbusch, der auf eine Kreisverkehrsinsel verpflanzt wird und dort zu Stadtverschönerung dienen soll. Das arme Ding erfüllt dort seinen Zweck, aber das Wunder und das Geheimnis seiner Schöpfung sind weg. Er wird zurechtgestutzt, mit Chemie besprüht, vielleicht sogar genetisch umgebastelt, damit er für seine sogenannten “Pfleger” problemloser wird.
So geht es auch mit Kunst, die sich von der Gesellschaft vereinnahmen läßt und sich deren Konzepten und Anliegen dienbar macht.
Das Wunder des unmittelbaren und unvermittelten Erlebens verschwindet. Kunstbetrachtung wird zu einem intellektuellen Spiel, bei dem jeder mitmachen kann, solange er die richtigen Vokabeln und Floskeln beherrscht.
Versuchen Sie sich bitte einmal an den Moment zu erinnern, als Sie zum ersten Mal einem samenständigen Löwenzahn von ganz nah begegneten. War das nicht ein gewaltiges und wunderbares Erlebnis?
Dieser ganz kurze Augenblick wo etwas bislang ungesehenes ins Leben trat, ohne Gedanke und ohne Name?
Es war wirklich nur ein winzig kurzer Moment, denn sofort säuselten die Erwachsenen “Ja, Bübchen, das ist eine Pusteblume, schau mal was man damit machen kann!” . . . und bliesen das Wunder weg.
Im Laufe des Lebens wurde aus der Pusteblume zunächst der Löwenzahn, dann, zumindest für die Oberschüler unter uns, eine krautige, pfahlwurzlige Pflanze aus der Familie der Korbblütler –und heute schließlich ist aus dem Wunder das “verdammte Unkraut” geworden, das auch in diesem Jahr wieder den Rasen versauen wird.
Florian Richter macht Bilder die jenes frühkindliche Wunder der ersten, begrifflosen Begegnung auch für uns Erwachsene möglich machen. Für einen Fotografen ist das eine bemerkenswerte Leistung. Lassen Sie mich erklären, warum:
Wenn ich Kunstwerke als Schöpfungen definiere, also als etwas das aus einer autonomen Kraft neu ensteht, werden Sie wahrscheinlich keine Einwände haben. G’tt erschuf den Kosmos, (also auch den Löwenzahn,) aus dem Chaos, also dem Nichts. Auch wenn Ihnen mein Begriffe nicht gefallen mögen, das Prinzip ist klar. Etwas ist zum ersten Mal auf der Welt und wird für uns erlebbar.
Das ist für mich das wesentliche Merkmal wirklicher Kunst, ihr einziger Zweck.
Heinrich Heine hat das 1838 sehr klar und unmissverständlich so ausgedrückt: Kunst ist der Zweck der Kunst, wie Liebe der Zweck der Liebe, und gar das Leben selbst der Zweck des Lebens ist.
Ein Maler nun hat als Schöpfer einen tollen Vorsprung uns Fotografen gegenüber, denn er beginnt mit Leere. Mit einem leeren Blatt Papier, einer weissen Leinwand, einer jungfräulichen Kupferplatte oder ähnlichem.
Für den Fotografen gibt es das Privileg der weissen Leinwand nicht. Viel zwingender als jeder andere Künstler ist der Fotograf an die sinnlich wahrnehmbare Welt gebunden. Sein Objektiv zwingt ihn immer wieder, etwas vor sich zu sehen. Leere als Anfang ist undenkbar.
Das hat dazu geführt, daß Fotografie viel zu lange für die Realität selbst genommen wurde und ihr natürlich schon dadurch der Weg zum Bild, zur Kunst wie ich sie eben beschrieben habe, verbaut war.
“Das ist ein Baum”, sagen selbst heute noch Menschen, wenn sie das Foto eines Baumes betrachten. Oder sie rufen aus “was für eine schöne Frau!” wo sie doch nur auf ein mehr oder weniger dickes Blatt Papier mit einer Silber-Gelatine-Beschichtung oder aufgesprühten Pigmenten blicken.
Eine Phänomen, welches für kunsttheoretisierende Philosophen wie Pierre Bourdieu oder Roland Barthes zum gefundenen Fressen wurde, die dann bizarrerweise gerade die Fotografie dazu benutzten uns zu beweisen, daß es, verkürzt dargestellt, so etwas wie Realität ja garnicht gibt.
Ihre Erkenntnis war: alles ist Zeichen und Zeichen sind sozial und kulturell bestimmt.
Ihre Forderung, oder besser die Forderung derer, die diese Erkenntnisse in Kulturpolitik umgesetzt haben war: Kunst könnt ihr ja gerne machen, aber so, daß sie gesellschaftlich relevant ist. So wurde Kunst, während der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts zu dem was ich eingangs beschrieben habe: zu einem von Konzepten, Ideen und auch Ideologien getragenen gesellschaftlichen Forschungslabor.
Florian Richter hat,um mit dem stiefväterlichen Vater unserer Nation zu reden, in Bezug auf all diese Diskussionen die “Gnade der späten Geburt” erfahren.
Er wurde 1968 in Hamm in Westfalen geboren. Er war das siebte von acht Kindern, sicher kein unerheblicher Aspekt seiner Lebensgeschichte.
Ausgebildet wurde er in einer der beiden renommiertesten deutschen Ausbildungsstätten für Fotografie, dem Berliner Lette-Verein. Unter den handwerklich orientierten Fotografen wird der Lette-Verein auch heute noch genauso gerühmt wie er für die Fotografen mit, in Gänsefüßchen, künstlerischen Ansprüchen, berüchtigt ist. Während wir seine Bilder hier gehängt haben, hat Florian Richter bedauert, daß theoretische oder gar philosophische Aspekte von Kunst und Fotografie während seiner Ausbildung kaum Beachtung fanden. Für mich stellt das absolut kein Manko dar. Seine Bilder lassen zumindest erahnen, daß er sich durch einen ganzes Dickicht verwirrender Konzepte und Theorien erst garnicht hat durchschlagen müssen. Wenn die Bilder stimmen, folgt klares und schlüssiges Denken zwangsläufig.
In der Tat hat eine Institution wie der Lette-Verein viel mehr mit den Malerakademien des 19ten Jahrhunderts zu tun als mit heutigen Kunsthochschulen. Für diese Nähe braucht sich keine Bildungsinstitution zu schämen.
Wer bei Bildern wie wir sie hier genießen dürfen, ankommen will, braucht einen festen Willen, eine ganz eigene Sicht der Welt und ein fundiertes praktisches, ja handwerliches Beherrschen des Mediums in dem er arbeitet.
Florian Richter hat alle diese Qualitäten; und nur in diesem Zusammenhang möchte ich den Begriff “Romantiker” auf ihn angewendet sehen. Es gilt unbedingt zu vermeiden, daß wir auf ihn mit dem gleichen durch Zuckerwatte getrübten Blick sehen, mit dem unsere Tourismusindustrie z.B. Friedrichs Geburtsstadt Greifswald in ein Romantik-Disneyland zu verwandeln sucht.
Florian Richter kann nur dann Romantiker genannt werden, wenn wir uns nicht auf Vermarktungs-Ideen sondern auf die Essenz, ganz besonders der norddeutschen Romantik einlassen.
Florian Richter ist genausowenig von Gestern wie die Romantiker es waren. Wie diese hat er einen sehr klaren Blick auf das Heute und auf die Probleme des zeitgenössischen Lebens.
Caspar David Friedrichs immer wieder abgebildeten Männer in altdeutscher Tracht waren kein Symbole politischer Reaktion, wie kurzsichtige Zeichenerklärer uns, zumindest im Westteil der Republik, noch in den 70er Jahren vormachen wollten. Sie sind da als ein demonstratives Bekenntnis zur Forderung nach einer in Freiheit geeinten deutschen Nation.
Florian Richters Landschaftsbilder sind analog dazu auch keine Vehikel für irgendeine “Zurück zur Natur-Bewegung”. Sie sind Natur selbst. Natur der Welt und Natur des Menschen.
Ich stehe hier neben meinem – bisherigen – Lieblingsbild dieser Ausstellung, der Arbeit “Silberberg” aus dem Jahre 2006. Das für mich bewegendste Moment dieses Bildes ist die Gruppe von Kiefern, die sich in der Bildmitte durch die sie fast umschließenden Wolken zum Himmel drängt.
Wir alle könnten eine dieser Kiefern sein. Auch in unserer Natur liegt es, dem Himmel ein Stückchen näher kommen zu wollen. Und wunderbar!: nichts in diesem Bild zeigt Natur, wie wir Sie aus Glanzmagazinen und Paradebüchern kennen. Dort wird Natur entweder als das große Fremde, das Andere, das was uns das Schauern den Rücken herunterlaufen läßt dargestellt. Oder aber sie wird gezeigt als das das Kuschligsüsse, das erholunsspendende Dienstmädchen.
Nichts davon findet sich in Florian Richters Bildern. Bei ihm ist Natur die alles umfassende Natur, kein Vehikel zu einer Natur-Interpretation.
Es gibt da eine wunderbare Betrachtung von Peter Handke an die ich immer wieder denken muß, wenn ich Florian Richters Bilder sehe. Lassen Sie mich Ihnen zum Schluß meiner Ausführungen bitte daraus vorlesen. Handke schreibt: Und die Meinung, es gebe doch keine Natur mehr? Sie erscheint mir wie die Behauptung: “Es gibt keine Jahreszeiten mehr.” Die das sagen, scheuen, freiwillig gefangen in ihren Wohn- und Fahrmaschinen, selber Maschinen geworden, vielleicht nur das Freie. Denn hinter all diesen Gaunersprachen breiten sich doch draußen immer noch machtvoll die Äste der Bäume aus. Es gibt die Jahreszeiten. Die Natur ist. Die Kunst ist.
Florian Richters Bilder beweisen auf überzeugend hoffnungsvolle Weise, daß die Kunst ist. Lassen Sie uns diese Bilder nun gemeinsam geniessen und vergessen sie getrost alles was ich gesagt habe.
Lassen Sie sich auf Ihre ganz eigene Art ein auf diese Bilder, so wie damals auf die Pusteblume. Unser Glück ist, daß diese Begegnung Bestand haben wird und niemand ihnen das Wunder dieser Bilder wird wegblasen können.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
FLORIAN RICHTER
1968
geboren in Hamm (Westfalen)
1975-1987
Weiherhof GS und Friedrich-Gymnasium, Freiburg
1990-1992
Lette-Verein, Berlin, Ausbildung zum Fotografen
1992-1995
verschiedene Assistenzen bei Berliner Fotografen
seit 1995
Fine-Art Printer für Chrome-Tinten Druck
seit 2006
Fotograf in Berlin
Ausstellungen
2005
Hans-Thoma-Kunstmuseum, Bernau (Schwarzwald)
2006
Galerie KMF, Berlin
2008
Bohrinsel, Berlin
2010
Abguss-Sammlung, Berlin
2011
Berliner Liste
"Winter Collective", Galerie Irrgang, Leipzig (Gruppenausstellung)
"Wald", Pavlov's Dog, Berlin (Gruppenausstellung)
2012
"Bloom - The Converging Art Show", Art Fair Cologne, Köln (Gruppenausstellung)
L6 Künstlerwerkstatt, Freiburg
2013
"Florian Richter & Tan Kadam", Studio 14, Berlin
in Vorbereitung: Galerie Goldbergkunst, Goldberg
in Vorbereitung: Galerie Irrgang, Leipzig