Eröffnung am 3. Mai 2024

Fotos: privat

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Wo wohnt das Glück?

von Michael Meyer

Wo wohnt das Glück? In einem kleinen Vogelhäuschen, das vor einer Terrasse eines Kleingartens hängt? In einer Kinderschaukel, längst verlassen am Ast eines Apfelbaums? In einem gedrechselten Regal, das keine Tassen, keine Teller, keinen Nippes, keine Kerzen mehr beherbergt?

Die Rostocker Fotografin Bianca Schüler sucht mit ihrer Kamera gern abseits der Scheinwerfer und gepflasterten Wege nach Motiven, die Geschichten von Menschen erzählen, aber nie Menschen zeigen. Ihre Bilder zeigen die Abwesenheit von Menschen. Jenseits vom Erleben. Aus einer längst vergangenen Zeit. Bilder, die berühren, da sie vorführen, was vom Leben übrigbleibt.

Denn das Vogelhäuschen, das verlassen im Baum hängt, hat jemand selbst gebaut. In der Holzschaukel haben Kinder gesessen und gelacht. Das Holzregal ist selbst gedrechselt.

In dem Fotoprojekt Verlassene Paradiese hat die Rostockerin Kleingärten aufgesucht, die stillgelegt und leergezogen sind. Die Bilder stammen aus Jarmen, Neubrandenburg, Goldberg und den Anlagen Primelweg und Groter Pohl in Rostock. Schrebergärten, die zumindest in Rostock für umstrittene Immobilienprojekte gegen den Willen der Betreiber weichen mussten, die dort über Jahrzehnte ihre Wochenenden verbrachten, mit Kindern und Enkeln spielten, mit Nachbarn grillten und feierten, in den Datschen werkelten und schliefen, Obstbäume anpflanzten, Kartoffeln, Erbsen, Möhren und Erdbeeren anbauten und bewirtschafteten.

Was diese Anlagen den Menschen bedeuteten und welche immense soziale Komponente sie in sich tragen, zeigt sich allein in den Namen, die sie bundesweit so tragen: Land in Sonne, Glück im Winkel, Gute Hoffnung, Freiheit, Frühauf, Feierabend, Frohe Stunde, Erdenglück, Heimaterde oder Deutsche Scholle. Sonnenbraut, Abendfrieden, Zweite Heimat oder einfach nur Volkswohl.

Der Kleingarten, Schrebergarten, die Parzelle mitten in der Stadt – seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland ein Symbol für das kleine Glück. Die persönliche, recht anspruchslose Erfüllung von Freiheit in festgelegten, zum Teil auch recht muffigen Grenzen und Regeln, die vom jeweiligen Verein festgelegt wurden. Die ersten Gartenparzellen tauchten um 1814 im heutigen Schleswig-Holstein in Kappeln an der Schlei auf.

Der Leipziger Orthopäde und Hochschullehrer Dr. Daniel Schreber appellierte Mitte des 19. Jahrhunderts dafür, Grünflächen in Innenstädten zu etablieren, um den von der Industrialisierung verelendeten Großstadtkindern einen Raum zur Entfaltung zu bieten. Auf dieser Idee basierend wurden um 1860 von dem Leipziger Schuldirektor Ernst Hauschild die ersten Spielplätze errichtet. Der Oberlehrer Karl Gesell ließ am Rande dieser Spielplätze kleine Gärten anlegen, um den Kindern die Möglichkeit zu geben, das Gärtnern zu erlernen. Da aber die Kinder auf Dauer wenig Freude am Gärtnern entwickelten – und lieber spielten – übernahmen die Eltern den Dienst an Kartoffeln und Kohl. Dies war die Geburtsstunde des Schrebergartens.

Eine deutsche Idee war geboren. In ihr entwickelten sich in anderthalb Jahrhunderten Werte wie Familie und Fleiß, Gemeinschaft und Geselligkeit. In gegenseitiger Rücksichtnahme und dem Respekt vor dem Tun, der Leistung und den Werten und Grenzen des Anderen, des Nachbarn. Mag man heute spießig finden, war aber Fortschritt.

Die Ironie der Geschichte: Auch wenn Kleingärten ab den 70er Jahren bei jüngeren Generationen wegen ihres „Vereinsgeklüngels“ ein wenig aus der Mode kamen, so ganz in Vergessenheit gerieten sie nie und spätestens seit dem Milleniumswechsel sind sie wieder en vogue. Gärtnern in den Städten von urban gardening bis individuellem Bioanbauen im Kleingarten ist wieder angesagt.

Trotzdem sterben die Gärten. Weil sie nun mal mitten in den Städten lukrative Filetgrundstücke belegen, die, mit den richtigen Immobilien bebaut, weit mehr Gewinn abwerfen als das kleine Glück der Schreber jemals erwirtschaften kann. Das Sterben der Kleingärten sagt einiges über diese häufig auf Gewinn und Wachstum ausgerichtete Gesellschaft aus. Der Schrebergarten als möglicher Verlierer.

Diese Prozesse fängt Bianca Schüler ein und auf, ohne dabei vordergründig sozialkritisch oder mit akademischem Appell vorzugehen. Das ist eher so eine Art Nebenprodukt. Die Fotografin sagt: „Bei mir geht es immer um den Prozess des Machens. Ich bin fasziniert von der Atmosphäre dieser Orte und versuche, die Stimmung fotografisch einzufangen. Immer in der Vorstellung, da haben mal Menschen ihr Leben gelebt. Die haben in ihren winzigen Küchen ihr Essen zubereitet, oft mit Zutaten, die sie selbst angebaut und aus dem eigenen Kleingarten geholt haben, ihre Kinder und Enkel groß gezogen, gelacht, geweint, gefeiert, geschlafen.“ Und in den Bildern, die sie anbietet, tauchen immer die Fragen auf: Wo sind diese Menschen jetzt? Wo sind sie geblieben? Was ist aus ihnen geworden?

Mit diesen Fragestellungen läuft die Fotografin seit Beginn ihrer künstlerischen Schaffenszeit herum. Geboren am 4. Juni 1970 in Kühlungsborn, besuchte sie von 1977 bis 1987 die Oberschule in Rostock und absolvierte anschließend eine Ausbildung zur Pharmazeutisch-Technischen-Assistentin. Dann folgte sie ihrer Leidenschaft und begann eine Ausbildung zur Fotografin bei Bernd Hagedorn in Rostock, die sie nach drei Jahren 1999 erfolgreich beendete.

Bis 2002 arbeitete Bianca Schüler als Fotografin im Fotostudio Hagedorn und wagte danach den Sprung in die Freie Fotografie; bis 2017 im Bereich Architektur- und Porträt-Fotografie und als Fotojournalistin für die Ostsee-Zeitung. Wegen einer Erkrankung gab sie die freiberufliche Tätigkeit 2018 vorerst auf, arbeitete wieder in einer Rostocker Apotheke und ist seit 2021 wieder als Fotografin tätig, nun mit künstlerischen Schwerpunkt.

Bereits 2004 hatte sie mit ihren Landschaftsfotografien in Schwarz-Weiß Ausstellungen in Rostock und auf Hiddensee. Mit dem „Stromern“, wie sie es nennt, begann sie 2002. Heimlich und oft noch ohne Genehmigung kletterte sie allein in alte Industrieanlagen, abgewickelte Werften, leerstehende Ferienheime, Krankenhäuser oder verlassene NVA-Liegenschaften und hielt diese lost places, diese verlorenen, aufgegebenen Plätze, Zeitzeugen einer längst vergangenen, besseren, produktiven Zeit, fest. Lange, bevor daraus ein social media boom wurde.

Im Januar 2023 erschien der großformatige Fotoband Lost Places als Kooperation zwischen der Ostsee-Zeitung und dem Hinstorff Verlag in Rostock mit Fotografien unter anderem von Bianca Schüler. Die alte Papierfabrik Neu Kaliß, leergeräumte Kohle- und Kalibergwerke in Malliß-Lübtheen, die Halbinsel Wustrow mit den Hinterlassenschaften der 1990 abgezogenen Roten Armee, die Strandvilla „Alexandrine“ im Seebad Heiligendamm, das Gästehaus der Volksmarine im Gespensterwald am Ostseebad Nienhagen, die ehemalige Ostsee-Messe im Rostocker Stadtteil Schutow oder die alte Schwimmstation in Rostock am Neptunschwimmbad. Auch hier sprechen die Bilder Bianca Schülers von Menschen, ohne sie zu zeigen.

In dieser Reihe entstanden auch Fotografien zur beräumten Kleingartenanlage Groter Pohl in Rostock – und daraus die Serie Verlassene Paradiese. Und die Rostocker Fotografin hat bereits ihr nächstes Fotoprojekt begonnen. Seit einem Jahr besucht sie Trödelhallen und fotografiert, was vom Leben übrigbleibt. Fotos von Menschen ohne Menschen.

Michael Meyer, 1964 in Bad Pyrmont geboren, begann 1996 als Journalist für die Ostsee-Zeitung in Rostock zu arbeiten. Er war für viele Jahre Kulturchef der OZ und ist seit 2018 deren Chefreporter.

Kinderlos / Rostock Grother Pohl / 2019

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Eigenbau / Rostock Primelweg / 2023

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Orange / Jarmen Abendruh / 2023

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Besiedlung / Goldberg Seeblick / 2023

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Immergrün / Rostock Primelweg / 2023

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Aus der Reihe /Rostock Primelweg / 2023

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Blühstreifen / Rostock Primelweg / 2023

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Invasiv / Rostock Primelweg / 2023

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Puzzle / Rostock Primelweg / 2023

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Lebensraum / Rostock Primelweg / 2023

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Begrünung / Goldberg Seeblick / 2023

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Aussichtslos / Goldberg Seeblick / 2023

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Aussicht / Goldberg Seeblick / 2023

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Abbild / Rostock Grother Pohl / 2020

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Obdach / Rostock Grother Pohl / 2023

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Bienen / Jarmen Abendruh / 2023

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Übernahme / Neubrandenburg Torfbruch / 2023

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Garten Eden /Rostock Primelweg / 2024

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Pforte / Rostock Primelweg / 2023

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Unbehaust / Rostock Grother Pohl / 2019

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Besenrein / Rostock Warnowblick / 2023

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Baumhaus / Goldberg Seeblick / 2023

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Bauhaus / Rostock Primelweg / 2023

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Fensterladen / Jarmen Abendruh / 2023

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Unbedacht / Jarmen Abendruh / 2023

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Stiller Ort / Rostock Grother Pohl / 2019

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Lautlos / Jarmen Abendruh / 2023

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Blütezeit / Rostock Grother Pohl / 2019

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Zeitlos / Rostock Primelweg / 2023

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Bianca Schüler

curriculum vitae

geboren 1970 in Kühlungsborn, lebt und arbeitet in Rostock.

1977-1987 Oberschule in Rostock

1987-1996 Ausbildung und Tätigkeit als Apothekenfacharbeiterin und

Pharmazeutisch Technische Assistentin in Schwerin und

Rostock

1996-1999 Ausbildung zur Fotografin in Potsdam Babelsberg und Rostock

1999-2002 Anstellung als Fotografin in Rostock

seit 2002 Freie Fotografin im Bereich Presse, Architektur und Porträt

Projekte und Ausstellungen

2004 Schwarzweiss-Landschaften, Ausstellung

„Die Beginen e. V.“, Rostock und „Hedins Oe“, Hiddensee

Terre des Femmes Fotoprojekt „Blickwinkel Frau“, fotografische

Leitung

2007-2008 Mitautorin für den fotografischen Teil des Buches

„Die Universität Rostock“ mit Eckhard Oberdörfer

2012 Kalender „Frauen in die Wirtschaft e. V.“

2021-2022 Mitwirkung an der Serie “Lost Places“, Ostsee-Zeitung, Rostock

2023 Buch „Verlassene Orte in MV“, Hinstorff-Verlag, Rostock


Webseite:

https://bianca-schueler.de/

Porträt Bianca Schüler / 2024

© 2024, Danny Gohlke

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