Ernst Volland bei seiner Eröffnungsrede

©2025, Thomas Häntzschel

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Die tote Frau am Halleschen Ufer
Jewgeni Chaldej
Fotografien vom Krieg
Goldbergkunst e. V. 
2025

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©2025, Gerhard Stromberg

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Jewgeni Chaldej
Fotografien vom Krieg
Goldbergkunst e. V. 
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Jewgeni Chaldej
Fotografien vom Krieg
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Jewgeni Chaldej
Fotografien vom Krieg
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WENN DU FRIEDEN WILLST ZEIGE DEN KRIEG

Birgit Schröder und Gerhard Stromberg, Goldbergkunst e. V.

1

Am Ostersonntag 2025 erteilte Papst Franziskus in Rom zum letzten Mal seinen apostolischen Segen Urbi et Orbi. Seine Osterbotschaft war erneut ein eindeutiger Appell für Frieden und Abrüstung weltweit. »Ich wünschte, wir könnten wieder zurückfinden zu der Hoffnung, dass Frieden möglich ist! … Es kann keinen Frieden geben ohne echte Abrüstung!«1 In den veröffentlichten Osterbotschaften der beiden großen deutschen christlichen Konfessionen wurde Frieden weder gewünscht noch Abrüstung gefordert. Im Gegenteil, der Bischof von Essen verlangte »wir müssen kriegstauglich werden – um friedenstüchtig zu bleiben.«2

Si vis pacem para bellum3, jener durch die Weltgeschichte wieder und wieder als Hirngespinst entlarvte unselige Spruch wird heute als der Weisheit letzter Schluss angepriesen. Frieden ist, nicht zum ersten Mal in der deutschen Geschichte, zu einem Unwort geworden. Friedensliebe wird auf den Friedhof verbannt4 oder als genetischer Defekt diagnostiziert.5 Was dem Zeitenwende-Regime aus Politik, Wirtschaft und Medien noch Sorge bereitet, ist, dass sein Ruf zu den Waffen bei einem großen Teil der Bevölkerung nur Zweifel und Angst weckt; zu viele wollen den mühsam erarbeiteten Frieden der vergangenen Jahrzehnte erhalten, wollen weiterhin verstehen und verhandeln. Deshalb das täglich hysterischer werdende Geschrei nach einer Einbindung aller Bereiche der Gesellschaft in die Kriegsvorbereitungen. Gesundheitswesen, Bildung, Ausbildung und Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung, Kultur und Kunst, – alle sollen gezwungen werden, sich dem bellizistischen Narrativ anzuschließen. Wer unbequeme Fragen stellt oder sich gar widersetzt, wird ausgegrenzt, verleumdet, von einer immer maßloseren Zensurkultur in der Existenz bedroht.

Krieg ist nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern ein klägliches Versagen der Diplomatie. Kriege zu führen liegt nicht in der menschlichen Natur, – sie sind sozialgeschichtlich bedingte Verkehrungen der Natur des Menschen.6 Wir alle sind aus Liebe geboren und wollen in Solidarität und Frieden in und mit dieser Welt existieren. Nur wenn uns das gelingt, sind wir frei und leben unserer Natur gemäß. Frieden bedingt Freiheit. Die Umkehrung dieses Schlusses ist absurd, egal wie lautstark man versucht, sie uns nahezubringen.

2

Lange Zeit herrschte in der Geschichte der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Krieg eine heroisierende Darstellung vor. Die Museen sind voll von gigantischen Gemälden, die Schlachten, Siege und triumphierende Herrscher darstellen und in nahezu jeder Kleinstadt findet sich ein »Kriegerdenkmal«, welches meist, so entwickelte sich die deutsche Geschichte nun mal, massenhaften Tod als »Vaterlandsopfer« verklärt. Inhaltlich hatten und haben solche Werke die Vorgaben der Auftraggeber zu erfüllen. Sie schöpfen weder aus Erlebtem, noch berichten sie von der erbärmlichen Wirklichkeit des Krieges.

Mit dem lothringischen Zeichner, Radierer und Kupferstecher Jacques Callot (1592-1635) bringt ein Künstler zum ersten Mal sein persönliches Erleben des Krieges ein und zeigt dessen verheerende Folgen für die Bevölkerung. In seinem Werk Les Grandes Misères de la guerre7 berichtet er über die grausame Wirklichkeit des Dreißigjährigen Krieges. Die 18 kleinformatigen Blätter dieses Radierzyklus schildern das tägliche Morden so direkt und brutal wie eine Fotoreportage der Moderne. Die Parallelen zu unserer Ausstellung sind verblüffend, nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Rezeptionsgeschichte beider Bilder. Callots Radierung L’arbre aux pendus, 16338 wird oft als das bekannteste Bild des Dreißigjährigen Krieges genannt, während Chaldejs Fotografie des Hissens der sowjetischen Flagge auf dem Reichstag in Berlin von 1945 weltweit als ikonisches Symbol des deutschen Zusammenbruchs am Ende des Zweiten Weltkriegs betrachtet wird.

Jacques Callot blieb weit über seine Zeit hinaus einflussreich. Noch annähernd 200 Jahre später wurde sein Kriegszyklus zum Vorbild für Francisco des Goyas heute weitaus bekanntere Serie Los desastres de la Guerra, 1810-18149. Goya (1746-1828) berichtet in seinen 82 ebenfalls kleinformatigen Aquatinta-

Radierungen aus eigenem Erleben des spanischen Unabhängigkeitskrieges gegen Napoleon und mit ähnlich brutaler Offenheit wie Callot. Erstaunlich ist auch hier die Affinität zu den Fotografien Chaldejs.

Weitere 200 Jahre später begegnen wir in der Grafikmappe Der Krieg, 1924 des deutschen Malers Otto Dix (1891-1969) einer erschütternden Bildserie über die Grauen des Ersten Weltkrieges, an dem er als Frontsoldat teilnahm und dessen apokalyptische Erfahrungen ihn lange bis in seine Träume verfolgten. »…ich habe jahrelang, mindestens zehn Jahre lang immer diese Träume gehabt, in denen ich durch zertrümmerte Häuser kriechen mußte, durch Gänge, durch die ich kaum durchkam. Die Trümmer waren fortwährend in meinen Träumen.«10 Die brutale Wahrhaftigkeit dieses Bilderzyklus führte zu heftigen Anfeindungen gegen Dix durch deutschnationale Medien und Politiker, die die Legende vom »heroischen Frontkämpfer, im Felde unbesiegt« aufrechterhalten wollten.

Es fällt nicht schwer, Jewgeni Chaldejs hier gezeigten Bilder vom Krieg der Tradition von Callot, Goya und Dix zuzuordnen. Auch seine Serie entstand aus innerer Notwendigkeit, aus dem Zwang, den täglichen Horror des Krieges schonungslos und wahrhaftig zu berichten. Er war an vorderster Front dabei, von der Ankündigung des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion 1941, bis zum Aufrichten der sowjetischen Flagge auf dem Reichstag in Berlin 1945. »Er begleitete den gesamten Vormarsch der sowjetischen Südfront durch Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Österreich, schließlich auch durch Teile Deutschlands bis nach Berlin.«11 Er und seine Kamera haben vier Jahre lang Leid, Verwüstung, Grausamkeit und Tod gesehen und für die Welt dokumentiert. »Es war kein Auftrag, es war mir ein inneres Bedürfnis.«12 Auch daraus erklärt sich die Wirkmacht, die seine Aufnahmen heute noch haben. Chaldejs Fotografien müssen uns alle aufs Tiefste berühren. Denen, die keine Kriege mehr wollen, sollten diese Bilder die Entschlossenheit geben, ihre Forderung nach Frieden noch mutiger zu bekunden. Den anderen, die den nächsten Krieg bereits kalkulieren und vorbereiten, sollten sie die Augen öffnen und sie den Wahnsinn ihres Vorhabens erkennen lassen.

3

Jewgeni Chaldej wusste um die Bedeutung seines Werkes. Mit zäher Beharrlichkeit bewahrte er sein Archiv über lange Jahre widrigster Umstände in einer winzigen Wohnung am Stadtrand Moskaus. »Bin ich Sieger? Was ist Sieg? Ich fühle mich nicht als Sieger, eher als Verlierer. Eure Rentner fliegen nach Mallorca und ich kann mir nicht einmal fünf Kopeken leisten für eine Tramfahrt ins Zentrum Moskaus.«13

Ernst Volland ist einer der bedeutendsten kritischen Künstler Deutschlands. Seine Arbeiten kratzen immer wieder intelligent und bildnerisch souverän am Lack, mit dem unsere Gesellschaft ihre Widersprüche und Übel zu übertünchen sucht. Dass glückliche Umstände es gerade ihm zur Aufgabe gemacht haben, das Vermächtnis Jewgeni Chaldejs in Deutschland zu bewahren, dafür danken wir dem Zufall und Vollands Bereitschaft, diese Herausforderung anzunehmen. Zusammen mit dem Autor und Journalisten Heinz Krimmer, seinem Partner in der Agentur »Voller Ernst«, besitzt er die weltweit größte Sammlung von Chaldejs Fotografien. Volland und Krimmer haben zwei maßgebliche Bücher über Chaldej herausgegeben und eindrucksvolle Ausstellungen kuratiert, die internationale Beachtung fanden.

Wir sind dankbar, stolz und glücklich, eine Auswahl dieser bedeutenden Sammlung vorstellen zu dürfen. Ernst Volland danken wir für sein spontanes »Ja« zu unserem Vorhaben und dessen entspannte und vertrauensvolle Umsetzung.

ANMERKUNGEN

1

https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2025-04/wortlaut-angelus-ansprache-von-papst-franziskus.html abgerufen am 21.04. 14:03 Uhr.

2

Franz-Josef Overbeck in seiner Karfreitagsbotschaft, in: Junge Welt, Berlin, Nr. 92/2025, Seite 4.

3

Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor. Ein Spruch, der dem römischen Politiker Cicero (106-43 v. u. Z.) zugeschrieben wird.

4

„Freiheit ist für uns wichtiger als Frieden. … Frieden gibts auf jedem Friedhof.“ Der Politiker Friedrich März am 13.11.2024, https://youtu.be/SSGsIy6IeB8?feature=shared, abgerufen am 27.4.2025, 10:48 Uhr.

5

„In unserer DNA liegt Pazifismus“, sagte sie und fügte hinzu: „Wie können wir diesen Code schneller überschreiben?“ Die Journalistin Caren Miosga, Quelle: Berliner Zeitung vom 07.04.2025, https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/miosga-zu-joschka-fischer-pazifismus-lag-in-unserer-dna-li.23142454, abgerufen am 27.4.2025, 11:10 Uhr.

6

Siehe hierzu: Carel van Schaik und Kai Michel, Mensch sein, Hamburg: Rowohlt, 2023.

7

Das große Elend des Krieges.

8

Der Galgenbaum.

9

Die Schrecken des Krieges.

10

Otto Dix im Gespräch mit Maria Wetzel, 1965, hier zitiert nach Dietrich Schubert, Otto Dix: Die Radierungen der Krieg (Berlin 1924) oder: das „Yo lo vi“, in Otto Dix, der Krieg - Radierwerk 1924, hrsg. vom Verein August-Macke-Haus e. V., Bonn 1999, S. 37.

11

Ernst Volland in Jewgeni Chaldej, Kriegstagebuch, Hrg. Ernst Volland und Heinz Krimmer, Berlin: Verlag Das Neue Berlin, 2011. S. 212.

12

Jewgeni Chaldej in Jewgeni Chaldej, Kriegstagebuch, Hrg. Ernst Volland und Heinz Krimmer, Berlin: Verlag Das Neue Berlin, 2011. S. 204.

13

Chaldej im Gespräch mit Ernst Volland, in Ernst Volland, Sowjetische Flagge auf dem Reichstag: Auktionshaus nimmt Foto aus dem Sortiment, Berliner Zeitung, 03.05.2025, https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/sowjetische-flagge-auf-dem-reichstag-auktionshaus-nimmt-foto-aus-dem-sortiment-li.225603, abgerufen 19.04.2025, 11:07 Uhr.

Jewgeni Chaldej

"Sewastopol 1944
Wofür braucht man Krieg?!"

Notiz von Chaldej auf der Rückseite eines Fotoabzuges.

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Jewgeni Chaldej

"Der erste Tag des Krieges, Moskau 1941"

»Um 12 Uhr hieß es: ›Sie hören nun eine Erklärung vom Vorsitzenden des Ministerrates, Molotow.‹ Man konnte hören, wie er sich Wasser in ein Glas goss. Dann begann er stockend zu sprechen: ›Heute morgen um 5 Uhr haben deutsche Truppen unsere Grenzen von Murmansk bis zum Schwarzen Meer ohne Kriegserklärung überschritten. Kiew, Minsk, Sewastopol, Brest wurden bombardiert.‹

Als Molotow zu reden begann, stand ich auf und hörte zu. Die Leica hatte ich bei mir, und plötzlich sah ich draußen die Menschen. Ich ging leise zu ihnen und machte dieses Foto, wie sie alle da standen.«

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Jewgeni Chaldej

"Verbrannte Erde, Murmansk 1941"

»Hitler hatte gesagt: Murmansk muss genommen werden. Er wollte die Unterstützung der Sowjetunion durch die Engländer unterbinden. Murmansk wurde bombardiert. Am 22. Juni 1942 gab Hitler den Befehl, Murmansk niederzubrennen. Die Stadt bestand vor allem aus Holzhäusern. Einen Tag lang fielen 350.000 Brandbomben. Ich entdeckte die alte Frau mit ihrem Koffer. Sie sah, dass ich einen Fotoapparat hatte, stellte den Koffer ab und sagte: ›Schämen Sie sich nicht, unser Unglück aufzunehmen?‹ «

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Jewgeni Chaldej

Sowjetische Gefangene, von deutschen Soldaten beim Rückzug ermordet, werden identifiziert, Rostow am Don, Februar 1942

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Jewgeni Chaldej

"Sewastopol 1944"

»Wofür braucht man Krieg?!« In Chaldejs Handschrift auf der Rückseite der Fotografie. 

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Jewgeni Chaldej

"Toter Mann", Budapest 1945

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Jewgeni Chaldej

"Selbstmord eines Nationalsozialisten und seiner Familie", Wien, Anfang 1945

»Ich ging in den kleinen Park vor dem Parlamentsgebäude, um die vorbeiziehenden Soldaten zu fotografieren. Da sah ich plötzlich ein seltsames Bild auf einer Parkbank. Dort saß eine Frau, getötet durch zwei Schüsse in die Schläfe und in den Hals. Ein Junge, etwa 15 Jahre alt, und ein Mädchen lagen ebenso auf der Bank. Daneben die Leiche des Vaters, der das Ganze angerichtet hatte. Er hatte ein goldenes Abzeichen auf dem Revers, das bedeutete, dass er Mitglied der faschistischen Partei war. Neben ihm lag sein Revolver. Keiner wagte es, näher zu treten und die Waffe an sich zu nehmen, so abscheulich war das. Ich fotografierte das Ganze mit allen Details. Ein Wachposten kam aus dem Parlamentsgebäude gerannt

und stammelte: ›Er, er hat es getan, nicht russische Soldaten. Er kam um 6 Uhr morgens. Ich sah ihn und seine Familie vom Keller aus. Er stellte die Bänke zusammen und sagte zu der Frau: ‚Setz Dich!‘. Dann dasselbe zu dem Jungen und dem Mädchen. Ich begriff nicht, was er vorhatte. Dann erschoss er zuerst die Mutter, danach den Sohn. Das Mädchen weinte und sagte: ‚Nein! Nein!‘. Er legte es auf die Bank und erschoss es auch. Dann ging er zur Seite, sah sich an, was er angerichtet hatte, und erschoss sich selbst.‹

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Jewgeni Chaldej

"Pariser Platz I", Berlin, 2. Mai 1945

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Jewgeni Chaldej

"Der Dichter Jewgeni Dolmatowski mit Trophäe", Berlin am 2. Mai 1945

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Jewgeni Chaldej

Französische Straße", Berlin, April 1945

»Dies ist ein Bild aus der Reihe ›Warum Krieg?‹ Ich ging durch Berlin und sah diese beiden Menschen. Einer von Ihnen trug die Armbinde eines Blinden, der andere war sein Blindenführer, Ich trat heran und fragte: ›Woher kommt ihr?‹ Sie wussten es nicht. ›Wohin geht ihr?‹ Das wussten sie auch nicht. Sie waren am Ende der Welt angekommen.«

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Jewgeni Chaldej

"Tote Frau am Halleschen Ufer", Berlin 1945

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Zur Ausstellung erscheint ein erweiterter Katalog mit einem Text von Ernst Volland. 80 Seiten, Fadenheftung, Festeinband, 17,5 x 24,5 cm, 19,00 Euro plus Versand.
Bestellbar über unser Kontaktformular oder post@goldbergkunst.org

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