SHADOWLANDS
EIN AUSSTELLUNGSPROJEKT VON STUDIERENDEN DES CASPAR-DAVID-FRIEDRICH-INSTITUTS DER UNIVERSITÄT GREIFSWALD
23. März bis 28. April 2024
Als Beitrag zu den Feierlichkeiten anlässlich des 250. Geburtstages von Caspar David Friedrich hat eine Gruppe Studierender, basierend auf dem gleichnamigen kunstgeschichtlichen Seminar des Kunsthistorikers Dr. Gerhard Graulich, das Ausstellungsprojekt SHADOWLANDS erarbeitet. Ziel der Lehrveranstaltung war es, Facetten der Bedeutung C. D. Friedrichs für die zeitgenössische Kunst zu erforschen.
Bei Goldbergkunst werden anhand von 10 künstlerischen Positionen Aspekte eines transformierten Romantikbegriffs in den Blick gerückt. Die Ausstellung versucht, einen konzentrierten Diskurs zu entwickeln, der an Friedrichs Auseinandersetzung mit dem Enigmatischen und der Nacht anknüpft. Anhand dieser Topoi werden grundsätzliche Fragen zur menschlichen Existenz, etwa zu Liebe, Hass, Krieg und Tod gestellt.
Zur Ausstellung erschien ein Katalog.
SHADOWLANDS, 80 Seiten, Fadenheftung, Festeinband, 15.00 Euro, zzgl. Versand.
ROZBEH ASMANI
Chrysanthemen sind schon seit mehr als 1000 Jahren in Asien bekannt. Sie werden als edle Blumen bis zum heutigen Tag geschätzt. Mit Chrysanthemen verbindet man symbolisch ein langes Leben, aber auch Beständigkeit und Glück. Ihre Blüten werden mit der Sonne und dem Licht gleichgesetzt. In China findet sich die Blumensorte auf edlen Porzellanen, in Japan steht sie in Verbindung mit dem Kaiserhaus und darf nur von ihm im Kontext von Wappen verwendet werden. Jedes Jahr wird ein „Chrysanthemenfest“ gefeiert. Weiße Chrysanthemen zeigen aber auch bei uns sowie in anderen Kulturen Trauer und Schmerz an, insofern gehören die Blume häufig zu Trauersträußen oder sie findet sich in Bepflanzungen auf Friedhöfen.
Rozbeh Asmani interessieren in seiner Arbeit Chrysantheme USPP 2518, (2015) die tradierten symbolischen Bedeutungsebenen nur am Rande. So ermittelte er, dass inzwischen circa 2000 unterschiedliche Sorten und auch Pflanzenfarben der Chrysantheme patentrechtlich geschützt sind, so dass deren Züchtungen nur bedingt frei verkäuflich sind. Die rechtlichen Grundlagen lieferte dafür ein Gesetz in den USA, welches beinhaltet, dass pflanzliche und tierische Züchtungen seit 1980 zum geistigen Eigentum zählen und daher schutzrechtsfähig sind.
Die der Heliogravur zugrundeliegende Fotografie stammt aus dem United States Patent und Trademark Office. Sie zeigt eine Chrysantheme in Aufsicht, eine weiße Blüte vor tiefschwarzem Grund. Scheinbar handelt es sich um eine vollkommene Blüte, der jedoch jeglicher Vanitas-Aspekt fehlt. Wie in einem botanischen Lehrbuch zur Bestimmung von Blumensorten steht die Darstellung außerhalb der Zeit. Über die Heliogravur als besondere künstlerische Technik, die der sachlich fotografischen Fixierung entgegengesetzt wird, wird die dargestellte Sorte nobilitiert. Ob der monochrom schwarze Hintergrund, der die Künstlichkeit der Darstellung unterstreicht, zugleich als Kritik gemeint ist an jener durch das Patent negierten, sich immer wieder neu und anders schaffenden evolutionären Natur, darf gefragt werden.
Und ist hier vielleicht nicht eine ganz andere symbolische Form der Trauer gemeint, die der menschlichen Arroganz und Anmaßung gewidmet ist, wonach Schönheit konserviert und nicht mehr durch die sich ständig verändernden Varianten der Natur hervorgebracht wird? Die patentierte Blume mag zwar ikonisch sein, jedoch fehlt ihr letztlich das Potential zur Veränderung. Sie wird zu einem durch Menschen geschaffenen Wertgegenstand und käuflichen Objekt.
TIM AYRES
Der Maler Tim Ayres setzt sich mit Aspekten des Bildes, der Sprache und der Schrift auseinander, wobei seine Texte wie Bilder und diese wiederum wie Texte betrachtet oder auch gelesen werden können.
Mittels Schablonen werden die Bildtexte auf monochrome Gründe geschrieben, die durch ihre Farbgebung den Texten entsprechen, aber auch widersprechen können. Wie Gedichte erscheinen zuweilen die Textzeilen auf der Leinwand. Sie stammen aus der Alltagssprache, werden per Zufall aufgegriffen und sind sowohl Text als auch Bild, die sich textbildlich festgesetzt haben. Die Sentenzen spiegeln Stimmungen, Emotionen wider, die eine persönliche, aber auch subkulturelle Bedeutung haben können.
Tim Ayres malt Texte, die sich mitunter in Buchstabenfragmente auflösen. Dort, wo sie mit abstrakten Rastern kombiniert werden, zeigt sich ihre ungegenständlich-graphische Dimension. Und wo Texte mit Bildern, Schrift mit Farben verbunden werden, wo ein Bezug zu Porträts hergestellt wird, zeigt sich die Offenheit und gleichsam die Verbindung der Text-Bild-Kombinationen.
Für die Ausstellung Shadowlands ist ein Textgemälde aus der Zeile des Songs „I am not in love (no, no)“ des Jahres 1975 der britischen Rockgruppe 10cc ausgewählt worden. Zwei Strophen des Songtextes lauten:
I’m not in love
So don’t forget it
It‘s just a silly phase I’m going through
And just because I call you up
Don’t get me wrong
Don‘t think you‘ve got it made
I’m not in love
No, no
It‘s because
I’d like to see you
But then again
It doesn‘t mean you mean that much to me
So if I call you
Don’t make a fuss
Don‘t tell your friends about the two of us
I’m not in love
No, no …
In dem Lied geht es um die Unentschiedenheit von Liebe, um die Angst sich zu bekennen und dadurch die Freiheit zu verlieren. Man ist zwar auf der Suche nach Liebe, doch gleichzeitig soll das Gegenüber diese Nähe nicht missverstehen. Die sentimentale Musik weckt Erinnerungen an dieses ambivalente Gefühl der Jugend.
ALEXANDER GLANDIEN
Auf den ersten Blick sind die Zeichnungen Alexander Glandiens kaum erkennbar, sind sie doch eingehüllt in ein rätselhaftes Dunkel. Bei näherer Betrachtung geben sie eine alltägliche Szene wieder. Scheinbar geht es um ein in sich versunkenes Betrachten von Schnappschüssen, die zur Erinnerung in einem Fotoalbum gesammelt wurden.
Glandiens Zeichnung gehört zur Serie Innere Angelegenheiten. Sie basiert auf Fotografien, die aus zwei sehr unterschiedlichen Quellen stammen. Zum einen handelt es sich um private Aufnahmen, zum anderen um Aufnahmen aus dem Archiv der Staatssicherheit der ehemaligen DDR.
Die Intentionen zur Erstellung der Fotos waren somit äußerst unterschiedlich. In dem einen Fall sollte privates Erleben festgehalten werden, um sich später einmal daran zu erinnern. In dem anderen Fall wurde Privatheit benutzt, um das Leben der Abgebildeten auszuspionieren, um aus damaliger Sicht subversives Verhalten zu dokumentieren. Beide Bildsprachen scheinen auf den ersten Blick ähnlich, und doch gibt es Unterschiede, die sich etwa im Verhältnis von Nähe und Distanz zu den abgebildeten Personen zeigen, in einer erkennbaren Zugewandtheit oder nur sachlichen Dokumentation. Auch wenn die Unterschiede zwischen beiden Bildquellen aufgrund ihrer scheinbar technischen Neutralität des Fotos sowie durch die Transformierung in dunkle Kohlezeichnungen mittels schwarzem Pauschpapier durch Glandien nivelliert erscheinen, so ist der jeweilige Blick doch ein anderer. Auch an der Wahl des Motivs und Bildausschnitts sowie an der Sorgfalt bei der Bilderstellung lassen sich unterschiedliche Intentionen erkennen.
Beim Stasi-Material zählt etwa die Schärfe der Bilder, um zu identifizieren und zu belegen, währenddessen die wirkliche Privatheit Unschärfe zulässt, weil der Moment des positiven Erlebens festgehalten wird.
Glandien interessieren die Unterschiede und Perspektiven, aber auch die Ähnlichkeiten und Überschneidungen in den verschiedenen Bildsprachen. Er selbst bemerkt zu beiden Serien: „Zusammen bilden sie das visuelle Gedächtnis der einstigen Autokratie und verweisen subtil auf die Durchdringung des Privaten durch den damaligen Überwachungsstaat. Die Verbindung persönlicher und kollektiver Erinnerung erschafft eine neue Kategorie Geschichte zu schreiben und gleichermaßen zu beschreiben.“
KNUT WOLFGANG MARON
Knut Wolfgang Marons Bilder geben Einblick in einen Ort, der Vergänglichkeit aufscheinen lässt. Es handelt sich um die Wohnung einer alten Frau, die seit vielen Jahren ihre Umgebung unverändert lässt. Die Stille der Bilder schafft Distanz. Trotz der Komposition wirken die Bilder nicht inszeniert. Vielmehr ist in ihnen das vergangene und gegenwärtige Leben gleichermaßen präsent. Die Gegenstände, die im Bild zu sehen sind, offenbaren, dass sie im Laufe eines langen Lebens angesammelt und gebraucht wurden und eine Geschichte zu erzählen haben.
Bei Marons Fotografien geht es nicht um Realität in einem vordergründigen Sinn, sondern um die Authentizität von Porträt und Ding. Roland Barthes bemerkte bei der Durchsicht von Fotografien seiner Mutter, dass in den Kleidern, die sie darauf trug und die er bislang nicht kannte, Aspekte ihrer Geschichte aufscheinen würden: „Um meine Mutter ‚wiederzufinden‘, wenn auch, leider, nur für einen flüchtigen Augenblick und ohne diese Auferstehung jemals festhalten zu können, muß ich eines Tages auf einigen Photos die Gegenstände wiederfinden, die sie auf ihrer Kommode stehen hatte, eine Puderdose aus Elfenbein (ich liebte das Geräusch, das der Deckel machte), einen Flakon aus geschliffenem Kristall oder auch einen niedrigen Stuhl, der heute neben meinem Bett steht, die Bastmatten, die sie über dem Sofa angebracht hatte, die großen Taschen, die sie bevorzugte (und deren bequeme Formen, die bürgerliche Vorstellung vom, „Handtäschchen“ vergessen ließen).“ Und: „So schließt das Leben eines Menschen, dessen Existenz der unseren um ein weniges vorausgegangen ist, in seiner Besonderheit gerade die Spannung der GESCHICHTE, ihre Abspaltung mit ein.“
Maron widmet sich in seiner Arbeit dem Leben der eigenen Mutter, dem zunehmenden Verfall ihres Körpers am Ende ihres Lebens, womit sie nicht nur Teil seines Lebens ist, sondern auch zum Gegenstand seiner Kunst wird. Er betrachtet sie und ihr Leben, ihre Dinge distanziert, schildert ihre Verwundungen, ihre Ängste, den körperlichen Verfall sowie den nahen Tod. Die Frankfurter Psychoanalytikerin Rotraut De Clerck, die sich seit über zwanzig Jahren mit dem Werk des englischen Porträtmalers Lucien Freud auseinandersetzt, hat über seine Gemälde bemerkt, dass hier nicht „Kunst für die Kunst“ (frz. l’art pour l’art) zu sehen sei, sondern eine Kunst für den Menschen. Sie erwähnt, dass es Lucien Freud fasziniert habe, Menschen wahrhaft zu zeigen. Bei Maron ist es zudem ein Mensch im Kontext seiner Dinge, ein Zusammenhang, der sich mit dem Tod auflöst und vergeht. Am Ende bleibt für uns das Leid zurück, mit Barnett Newman zu sagen: „[…] Diese nach keiner Antwort heischende Frage ist schon sehr alt – sie existiert seit Jesus – seit Abraham – seit Adam – es ist die Urfrage überhaupt. Lema? Wozu – ist die nicht zu beantwortende Frage nach dem menschlichen Leid?“
CHRISTINE SCHMERSE / ULRICH PURITZ
Künstlerische Individualität zeigt sich nicht allein im Ausdruck eines einzelnen Künstlers. Sie entsteht darüber hinaus nicht allein durch geniale Gesten oder Setzungen; vielmehr verdankt sie sich auch dialogischen Prozessen, die in der Zusammenarbeit von Künstlerinnen und Künstlern entstehen.
Christine Schmerse und Ulrich Puritz arbeiteten über viele Jahre hinweg als Paar zusammen, sie ergänzten sich, indem sie auf die künstlerischen Prozesse des anderen reagierten. Wenn sie einen Gedanken, eine Idee des anderen weiter ausführen wollten, haben sie die Entwürfe des jeweils anderen verändert oder fortgeführt.
Oftmals ist das Paar gemeinsam auf Reisen gewesen, um neue kulturelle Kontexte kennenzulernen, um sich dem Fremden auszusetzen oder Routinen des europäischen Alltages zu durchbrechen. Bei einer Reise in die Karibik ging es ihnen darum, den anderen Alltag, den sie dort entdeckten, in ihren Werken einzubeziehen. Dabei nutzten sie das, was sie vor Ort fanden. Dieses Fremde erschließt sich mitunter in neuen Farbkonstellationen, neuen Materialien, neuen historischen Dimensionen, die sie in ihre Werke integrierten.
Eine der letzten gemeinsamen Serien, bevor Christine Schmerse 2022 verstarb, haben sie im Projekt Poseidon_Paintings entwickelt. In dieser Serie geht es um das Meer und seine Mythen, aber auch um die moderne Konsumkultur und die damit verbundene Verschmutzung der Umwelt. Als Malgrund etwa für eines ihrer geheimnisvoll anmutenden Bilder haben sie unter anderem Fast Food-Boxen verwendet.
In zwei weiteren Werken der Serie, betitelt Unser Meer und Das Meer der Anderen, werden unterschiedliche Sichtweisen gegenübergestellt. Gemeinsam schauen sie in die Welt Poseidons: „Das Meer trägt den Blick in die Ferne. Strich für Strich bringen ihn Hand und Pinsel wieder zurück.“
Im Meer der Anderen geht es um die Überwindung des eigenen eurozentrischen Blicks auf fremde Kulturen. Diesbezüglich wird versucht, die Sicht kreolischer Dichter und Maler auf die eigene Kultur aufzunehmen, fremde Kulturen aus ihrer Sicht zu begreifen und ihren Blick auf das Meer zu erweitern.
Das Meer wird als kreativer Grund betrachtet, aus dem das Leben stammt und wohin es einmal zurückkehren wird. Spuren des dortigen Lebens, aber auch der Materialien, die nicht zu ihm gehören, finden sich an den Stränden und bringen in den Fundstücken ungewollt Kulturen zusammen. So auch in der Arbeit Poseidon_Paintings II. Hierbei handelt es sich um ein mehrteiliges Bild, bestehend aus Kartonteilen. Im zentralen Gemälde geht es um Strukturen, bezeichnet durch die Folge der aufgedruckten roten Balken, die ihrerseits durch eine aufgemalte informelle Schwarzform gestört werden. Darüber sind gestisch zufällige, wellenförmige weiße Linien gelegt worden, die einen unstrukturierten Zusammenhang andeuten. Diese Linien verdanken sich dem Zufall, in dem ein Tennisball, getränkt mit weißer Farbe, über das Bildfeld gerollt ist. Rechts oberhalb des Bildes findet sich ein weiteres kleineres monochrom schwarzes Bild, im Nebenraum ein abgetrennter Teil des Hauptbildes. Zweifelsohne geht es um Dissoziation, wonach sich das Ganze nicht nur formal, sondern auch räumlich aufhebt. Die weißen Linien suggerieren dabei Hoffnung, deuten Bewegung an, die das Dunkel negiert.
MICHAEL SOLTAU
Unser Sehen verliert im Dunkeln zuweilen seine Identifizierungsfähigkeit. Was im Wahrgenommenen nicht genau erkannt wird, öffnet sich, denn das Gesehene verweigert sich einer sprachlichen Zuordnung. Das bloße Sehen lässt Assoziationen zu, die uns im Hellen verwehrt bleiben. Ohne Einordnung des Gesehenen in einen Kontext, der seinerseits bestimmte Sinnzusammenhänge herstellt, entsteht aber auch Hilflosigkeit. Das, was gesehen wird, wirkt abstrakt, reduziert sich auf das, was rein visuell erscheint. Hier stellt sich mitunter eine Diskrepanz zu dem faktisch Vorhandenen ein.
Dies gilt in besonderer Weise auch für die beiden Fotos von Michael Soltau. So zeigt das eine, eine rote Linie die parallel zu den Rändern des quadratischen Motivs verläuft. Auf dem zweiten Foto verläuft wiederum eine rote Linie, die jedoch zum einen nach rechts hin unterbrochen ist, zum anderen erst in der Mitte des Rechtecks ansetzt und eine Halbform beziehungsweise einen Winkel bildet. Das Rot besitzt einen Signalcharakter, es scheint auf der schwarzen Fläche zu stehen, mit dem Impuls nach vorne zu dringen.
Der Sachverhalt erinnert an einen Zusammenhang, den Kurt Badt und Roger Frey im Hinblick auf die Interpretation von Paul Cézanne beschrieben haben. Hiernach „… handelt es sich in den Bildern Cézannes um einen vollkommenen Abstraktionsprozess vom Gegenständlichen mit der Konsequenz einer Re-Konkretisierung des Gegenständlichen auf der Grundlage dieser Abstraktivität. Das heißt: Im Hinblick auf die so zu konstituierende Gegenständlichkeit vereinigen sich unterscheidbar Abstraktivität und Produktivität.“
Dass es sich bei den Fotos um die Rückansichten eines Lastwagens mit zwei geschlossenen sowie einer geöffneten Tür handelt, lässt die Dunkelansicht nicht erahnen. Aus einem bei Tage banal erscheinenden Sachverhalt wird bei Nacht etwas Bedeutsames, das auf abstrakte Zeichen verweist. Das Sehen wird zu einem kreativen Prozess, der die banale Identifikation zunächst verweigert. Michael Soltau hält zu den Arbeiten fest:
„Meine Bilder stehen oft dem unverzüglichen Erfassen des Sichtbaren entgegen. Gerade in der Verweigerung des Konkreten entzieht sich das Sujet dem Betrachter, intensiviert dabei aber dessen Blick auf das Bild und schafft auf diese Weise einen individuellen Assoziationsraum. Die Bildreihe, zu der neben „Invitation to Openness“ auch die Fotoarbeiten „The Promise“ und „Under Ground“ aus dem Jahr 2017 gehören, thematisieren einen fiktiven Raum hinter den Dingen. Die rückseitigen Reflektoren der ins Bild gesetzten Lastwagen definieren diesen Bildraum zusätzlich formatbezogen. Der Titel der Arbeit geht auf die gleichnamige LP von Les McCann aus dem Jahre 1971 zurück.“
GERHARD STROMBERG
Ein besonderer Schwerpunkt der Fotografie von Gerhard Stromberg liegt in seiner Auseinandersetzung mit der Landschaft. Ihn faszinieren Stimmungen, das Licht, die Weite sowie die Konturen im Dunkeln, wenn Gesehenes zu verschwinden droht. Zur Landschaft zählt bei ihm aber nicht nur die Natur, sondern auch belebte Stadtlandschaften, die das urbane Leben festhalten.
Seine Fotografie Schlaflosigkeit, die Teil eines gleichnamigen Diptichons ist, zählt zu den Nachtaufnahmen, die gleichsam kontemplative Stille und gespannte Erwartung miteinander verbinden. Gezeigt wird eine Meerlandschaft mit einer Landzunge, worauf sich ein Gehöft befindet. Ein schwaches Licht ist im Haus zu erkennen, während am Horizont schon die Morgenröte erscheint. Das Licht deutet die menschliche Behauptung an, die dem Schlaf und der überwältigenden Natur widersteht. Das Bild wirkt wie ein Spiegel der menschlichen Seele, die ihre größte Intensität in der Nacht erlebt, bevor sie sich in der Verflachung des Tages verliert.
Bei Stromberg geht es um die Macht des Sehens, darum auszuloten, wohin das Licht reicht. Das menschliche Sehen wird in seiner Fotografie gefordert. Es wird festgehalten, was droht verloren zu gehen, wenn die Konzentration des Blicks nachlässt. Der Moment wird gedehnt und damit die Gleichzeitigkeit akzentuiert. Was sich in der voranschreitenden Zeit ständig verändert, bekommt eine Dauer und Aura, die Walter Benjamin einst der Fotografie als Bildkunst abgesprochen hatte. Mit seinen Fotografien positioniert sich Gerhard Stromberg gegen die Banalität der heutigen Bilderflut.
Seine Bilder stellen Fragen, die über den sprachlichen Diskurs hinausgehen. Es geht um die „Sache selbst“, um das, was vorhanden ist. An den Bildern lässt sich das Sichtbare begreifen, in dem die Dinge im Zusammenhang gezeigt und festgehalten werden. In die Bilder fließt die enorme Seherfahrung des Fotografen ein, sein Gespür für den besonderen Moment.
Gerhard Stromberg hat in Düsseldorf bei Bernd Becher Fotografie studiert. Hier hat er die Bedeutung der Serie für die Kunst kennengelernt sowie die Wirkungskraft von Variationen des vermeintlich Gleichen. Genau hier überbieten seine Fotografien auch den Film, der seine Ausdruckskraft aus einer Vielzahl von Bildern bezieht, die Bewegung suggerieren.
Strombergs Bilder hingegen sind konzentrierte Extrakte, die ihre Voraussetzungen in der romantischen Landschaftszeichnung zu haben scheinen.
Die britische Kunsthistorikerin Felicity Lunn bemerkte zu Strombergs Landschaftsbildern: „Die konzentrierte Suche nach einer Beziehung zu diesen Landschaften wird durch die grafische Qualität der Fotografien unterstützt, die an die Bleistiftzeichnungen von Caspar David Friedrich erinnert. ... Diese Feinheit lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters auf Details, die unbedeutend erscheinen mögen, aber die Essenz des Bildes zusammenfassen, sowohl visuell als auch in Bezug auf ihre Bedeutung.“
THOMAS WAGERINGEL
Zwischen Pop Art und Romantik oszillierend, setzen sich die neueren Décollagen von Thomas Wageringel mit dem Dunkel der nächtlichen Großstadt auseinander. Die Farbe Schwarz findet sich dabei oftmals im Zusammenhang mit typografischen Gestaltungen, mal als Grund für weiße Buchstaben und mal als Schrift.
Sein Ausgangsmaterial bilden - nach wie vor - Plakate, die als Werbung von Clubs für Musik-, Tanz- oder Boxveranstaltungen dienten und sich zufällig von Werbewänden gelöst haben. Ihre Schichtungen sind zuweilen mehrere Zentimeter dick und besitzen eine enorme Schwere, da sie über längere Zeit immer wieder übereinander geklebt wurden. Ihre Objekthaftigkeit repräsentiert einen Zeitraum gelebter Erfahrung und deutet zugleich ein Reservoir an zeitabhängigen Gestaltungen an.
Thomas Wageringel interessieren in der neuen Serie die Versprechungen und Verlockungen der Werbung. Zugleich geht es aber auch um deren Negation durch manuelle Eingriffe, mit denen er Informationen durch kleinere Ausrisse und Ritzungen beseitigt. Er legt offen, was sich ihm zufällig zeigt und reagiert auf das ihm Vorgegebene, auf die jeweiligen Farben, Schrifttypen und Bilder.
Die Plakate der nächtlichen Vergnügungsindustrie besitzen eine aggressiv anmutende Motivik und Typographie wie auch schrill wirkende Farbigkeit, deren Palette von Violett über Gelb, Neonrot bis hin zu Schwarz reicht. Auf ihnen spiegelt sich visuell, was in der synthetischen Musik zum Ausdruck kommt: Lautstärke, harte Rhythmen, ekstatische Akzente und monotone Wiederholungen. Die Farbzusammenstellungen erinnern ihrerseits an den Expressionismus, etwa an die Großstadtbilder Ernst Ludwig Kirchners. Wie im schwarzen Spiegel eines Jean Paul wird auf den bearbeiteten Plakaten von Wageringel in das Seelenleben und die Sehnsüchte des modernen Menschen geschaut.
In Gesprächen über die Serie und einzelne Blätter hat Thomas Wageringel darauf hingewiesen, dass die Setzungen der Farben wie auch der Wörter und Buchstaben, die sich zuweilen identifizieren lassen, nicht explizit gewollt sind, vielmehr sind sie während der Arbeit entstanden oder zurückgeblieben. Gleichnishaft nennt er die babylonische Sprachverwirrung des Alten Testaments in Genesis 11. 1-9, wonach auch seine Buchstaben und Wortrelikte ihm wie jene Lautfetzen des Wirrsals in der beschriebenen Szene des Turmbaus zu Babel erscheinen. Die Sprachverwirrung ist die Strafe aufgrund der Anmaßungen des Menschen. Es gibt nicht mehr nur eine Sprache, sondern viele, die unterschiedlich sind und auch nicht mehr untereinander verstanden werden. Der Zufall bekommt somit eine Bedeutung, die mitunter tiefgreifend ist, wie auch die Existenz der Botschaften aus den übereinandergeklebten Plakaten. Der Banalität der Oberflächlichkeit und Uniformität der Plakate wird in Wageringels Décollage zu einer neuen Individualität verholfen.
CHRISTIN WILCKEN
In ihren Zeichnungen und Grafiken setzt sich Christin Wilcken mit den vielfältigen Aspekten der Natur auseinander. Meer, Strand, Dünen, Wald entdeckt sie immer wieder aufs Neue, jedoch ohne diese abzubilden. Ihr geht es um ein Erspüren der Dinge, um ein malerisches Beschreiben, das sich allmählich vollzieht und Äußeres mit Innerem verbindet. Ihre dunklen Zeichnungen, zumeist mit Kohle oder Graphit erarbeitet, stellen Übersetzungen der Realität dar, wie diese im Detail erlebt und empfunden worden ist.
Bei den Bildern handelt es sich insofern um Überformungen, die Christin Wilcken mit künstlerischen Mitteln manifestiert. Damit ergibt sich eine Nähe zu den Bildvorstellungen Caspar David Friedrichs, die Werner Busch als potentiell sinnoffen beschreibt.
Clemens Brentano bemerkte zu Friedrichs Mönch am Meer (1808/1810): „… und das, was sich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, …“ In gewisser Weise gilt das auch für die Arbeiten Christin Wilckens. Der äußere Zufall interessiert dabei weniger, vielmehr geht es ihr um die Intensität von Gefühlen. Im Gegensatz zur bloßen Wiedergabe der visuellen Wahrnehmung, die lediglich eine Identifikation der Dinge zum Ziel hätte, ist es ihr daran gelegen, vielfältige Facetten der Dinge in einem zu visualisieren.
In ihren Schattenarbeiten geht es um ein Erkennen, ohne etwas zu benennen. Ihre Zeichnungen ähneln sich scheinbar und konzentrieren sich auf wenige Details. Susanne Burmester spricht von einem „poetischen Minimalismus“, der die Werke durchzieht.
Gerade in den Bildern aus der Serie Dämmerung tastet sich Christin Wilcken den Dingen entgegen, indem sie mit ganz wenig Licht auskommend, versucht, Schemen zu fixieren. Im Unklaren und Unscharfen verharrend, helfen keine weiteren Striche und Schraffuren, denn je dichter sie werden, um so dunkler werden sie.
Im Zwielicht erscheint die Welt noch offen, da eine Ambivalenz der Dinge herrscht. Gleichwohl können die Dinge auch wieder verschwinden, wenn sich Figur und Grund miteinander verbinden.
Die Genese der Dinge findet sich gleichsam in der „Verzogenheit“ der Bildträger wieder, die nicht ins rechtwinklige Maß justiert werden können, wodurch eine Korrespondenz von Bildträger und Bildsujet besteht. Der Philosoph Maurice Merleau-Ponty bemerkt: „Die Wahrnehmungswelt (wie die Malerei) ist das Insgesamt der Wege meines Leibes und nicht eine Vielzahl von raum-zeitlichen Individuen – Das Unsichtbare des Sichtbaren.“
MICHAEL WIRKNER
Michael Wirkners Malerei setzt sich in radikaler Weise mit seiner inneren Welt und deren Erleben auseinander. Die Werke dokumentieren Erfahrungen anhand weniger Themen, die er scheinbar von innen her beschreibt. Zu den gewählten Aspekten gehören unter anderem Kopf, Meer und Landschaft, die nichts mit der äußeren Wahrnehmung zu tun haben, wenn sich auch zuweilen Bezüge zur realen Welt herstellen lassen. Wesentlich sind ihm Aspekte der Farbe und Textur, wobei sich beides vor allem in den späten Werken aus dem bildbestimmenden Farbauftrag ergibt. Diese Arbeiten schildern seinen Wunsch, den Zufall einzubeziehen. Die Bilder entstehen je nach innerem Impuls, gestischer Heftigkeit oder psychischen Gestimmtheit des Künstlers. Auf diese Weise sind Formen generiert worden, deren Farben auf der Leinwand zum Teil gewollt, mitunter auch nicht gewollt erscheinen. Wirkner reagiert und korrigiert die entstandenen Formationen in einem ständigen Prozess. In den großen Farbarbeiten hat er das Nichtgewollte immer wieder übermalt und nach Farbklängen gesucht, die Bekanntes erweitern.
Michael Wirkner ist 2012 freiwillig aus dem Leben geschieden. Er hat viele seiner Werke verworfen, die seinen inneren Ansprüchen nicht genügten.
Ulrich Kavka hat den Zwiespalt in seinem Inneren in folgendem Gedicht beschrieben:
Seine
Entscheidungen
sind quälend,
einer- und andererseits
schmerzlich
auch für jene,
die behaupten,
sie bedürfen
seiner Bilder nicht.
Michael Wirkners Malerei war in hohem Maße existentiell, für ihn befreiend, aber auch belastend. Ihm ging es um den Anspruch an das jeweilige Werk, das ihm letztlich nie genügte. In seiner Malerei drückt sich insofern sein Zweifel an der Welt aus. Stets wollte er mehr zeigen, noch authentischer sein, um eine Vitalisierung seiner Bilder zu erreichen, deren Bedeutungen letztlich auch für den Betrachter nicht visuell abzuschließen sind.
Staunende und bewundernde Menschen konnte Michael Wirkner nicht ertragen. Zu Ausstellungseröffnungen betrat er den Saal, schritt durch den Raum, schaute, ob alles so hängt, wie er es sich vorgestellt hat. Danach ging er wieder. Seine Bilder waren für ihn eigentlich privat, geradezu intim, eine quälende Erinnerung an seinen Seelenzustand. Er hatte eine große Scheu, seine Empfindungen offenzulegen, vielleicht auch einen Blick in seine Seele zuzulassen.
Sein Bild Blick nach Böhmen zeigt, eine dunkle Zone, die sich nach oben hin ins Helle öffnet. Das Dunkle im unteren Bildteil verhindert den Blick in die Tiefe des Bildraumes, wobei das Schwarz selbst nichts übermalt oder zudeckt. Vielmehr wirkt es wie ein leichter Schleier, der jedoch die Gefahr birgt, sich zu verdichten, so dass der Eindruck von Durchlässigkeit verloren geht.
Doch auch die vermeintliche Transparenz zur Bildmitte hin öffnet und weitet keineswegs den Blick. Der Farbauftrag, gebrochen durch die grobe Leinwand und das Verstreichen der Farbe, erzeugt einen Assoziationsraum, der an eine ferne Landschaft, an Stadt, Wolken und Himmel erinnert. Vor allem dort, wo die Farbe die Leinwand nur ganz leicht bedeckt hat, schälen sich die Formen aus der Farbe, so dass sich im minimalistischen Farbauftrag die größte Wirkung entfaltet.
PETER GREENAWAY – NIGHTWATCHING
Der Film Nightwatching (dt. Das Rembrandt-Komplott, 2007) von Peter Greenaway, Filmregisseur, Drehbuchautor, Kameramann und bildender Künstler, setzt sich mit Rembrandt van Rijns Nachtwache (1642) auseinander, dem wohl berühmtesten Bild des 17. Jahrhunderts. Das Werk trägt den Untertitel Offiziere und andere Schützen des Bezirks II in Amsterdam, unter Führung von Hauptmann Frans Banninck Cocq und Leutnant Willem van Ruytenburch und wurde von Rembrandt für die Amsterdamer Büchsenschützengilde geschaffen, Amsterdams Bürgerwehr, die die Stadt vor Überfällen und inneren Unruhen schützen sollte.
Greenaway hat zur Interpretation des Gemäldes einen persönlichen Beitrag geleistet, indem er das Bild aus seinem bekannten szenischen Zusammenhang als Schützenstück herausgenommen hat und gleichsam in seinem Film die These verfolgte, dass es sich bei dem dargestellten Geschehen um ein Mordkomplott handele. Im Film selbst verweist Rembrandt, gespielt von Martin Freeman, auf den eben ausgelösten Schuss aus einer Muskete, der im Gemälde deutlich zu erkennen ist. Die Positionierung der Soldaten, das Helldunkel sowie die eigenwillige Anordnung der drei Personen im Vordergrund ordnet sich dieser Interpretation unter. Greenaway bezog sich zudem auf die Vermutung, dass es sich bei Rembrandts Darstellung um eine Szene aus einem Theaterstück handeln könnte. Seine Sicht ist zweifelsohne nicht archivalisch belegt, gleichwohl versucht er die Stimmung des Gemäldes und das Zusammenspiel der Personen in diesem Sinn filmisch umzusetzen.
Dabei orientiert er sich an der prunkvollen Ausstattung des Gemäldes und am besonderen Einsatz von Licht, das als wesentliches Ausdrucksmittel genutzt wird und die besondere Atmosphäre des Gemäldes erzeugt.
In Greenaways Nightwatching erhält der 36 Jahre alte Rembrandt den Auftrag, die Kompanie des Frans Banning Cocq monumental festzuhalten. Man sieht den Maler, wie er vor dem Gemälde der uns bekannten Nachtwache die Männer der Bürgerwehr wie in einem tableau vivant aufstellt.
Zweifelsohne geht es dem Rembrandt im Film nicht um die Idealisierung der Personen, wie es sich die Auftraggeber der Nachtwache, die Amsterdamer Büchsenschützengilde, vorgestellt hatte. Tatsächlich generiert er ein Verschwörungsbild, das womöglich Rembrandts Untergang zur Folge hat.
Greenaway schildert seine Interpretation der Nachtwache und bringt sie ins Bild. Wo Rembrandts Schilderung nicht deutlich genug erscheint, setzt er mit seinem Film an: er deutet neu, führt Hintergründe aus, zeigt die vermeintliche Boshaftigkeit der Personen sowie die geschichtlichen Bedingungen der Zeit. Jede Person, jede Geste, die Art ihrer Kleidung, die Bedeutung des gesetzten Lichts geben Rückbezüge auf das szenische Geschehen im Bild, das gleichsam den Betrachter einbeziehen will.
Für Greenaway ist Kunst immer offen und komplex. Sie öffnet die Augen und befördert Erkenntnisprozesse: „Ich bin nur an Ästhetik interessiert, (…) mich interessiert das Sehen selbst, ich will meinen Blick schulen. (…), die meisten Menschen sind ja visuelle Analphabeten. Unsere ganze Kultur ist ungemein textfixiert, das fängt schon in der Schule an. Da lernen wir alle das Alphabet, über Bilder erfahren wir nichts. Nur weil wir Augen haben, heißt das noch lange nicht, dass wir auch sehen können. Auch das will gelernt sein. Und ich finde in der Kunst lässt sich das am besten lernen.“