FLORIAN RICHTER
NACH ARKADIEN
30. Juni bis 23. Juli 2023
" In einer zunehmend technisierten Welt empfindet der Künstler das ästhetische Naturerlebnis als eine lebensnotwendige Metapher persönlicher Freiheit."
Antje Lechleiter, Freiburg
(Um die Dokumentation von Florian Richters Ausstellung bei Goldbergkunst im Jahre 2013 zu sehen, klicken Sie bitte hier.)
Die Bilder
(Alle Preise gelten nur während der Ausstellungsdauer bei Goldbergkunst.)
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Arkadia – Die Natur als Idealbild
Arkadien galt im Altertum als durch seine geographische Lage isolierte, raue Landschaft. Seine Bewohner sehen sich als ältestes griechisches Volk an. Arkadien steht für die friedliche Urphase der Menschheit, den Idealzustand vor der Entstehung der Zivilisation. Hier konnte die Menschheit, unbelastet vom mühevollen Alltag in einer idyllischen Natur unbeschwert leben.
Die Natur als Idealbild
Die Fotografien, die Florian Richter zwischen 2020 und 2022 ziehen den Betrachter mit großer, stiller Kraft in ihren Bann. Paradox zu sagen: Großes Kino der absoluten Ruhe. Formate, die über sich hinausweisen. Die dramatische Aufladung dieser Werke resultiert aus der Tatsache, dass Richter das Objektiv seiner Kamera nicht unter dem Blickwinkel der Bestandsaufnahme betrachtet, sondern als Werkzeug, um eine reine "Bildwirklichkeit" im elementaren Sinne des Wortes zu erschaffen. Das 19. Jahrhundert hat ihm in diesem Bestreben zwei Vorlagen geliefert: Zum einen die Malerei der Romantik und zum anderen die Fotografie und Bildbearbeitung der sogenannten Piktorialisten, die am Ende des vorletzten Jahrhunderts auf impressionistische Effekte durch gezielte Unschärfe, die Wahl ungewöhnlicher Ausschnitte sowie den Einsatz chemischer Verfahren setzten. Richter erzeugt die von ihm angestrebte, einem Gemälde ähnliche Bildwirkung mit den technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts und nimmt subtile Nachbearbeitungen am Computer vor. Im Atelier und durch die damit verbundene, zeitliche Distanz zum Erlebten unterläuft er ein weiteres Mal einen dokumentarischen Anspruch an Fotografie. Seine Einwirkung schafft eine neue Wirklichkeit mit enormer Wirkungskraft.
Zu den beiden genannten Einflüssen passt, dass sich der Künstler bei der Suche nach dem Motiv von seinen Gefühlen leiten lässt. Er meidet die Schneisen schlagenden Seilbahnen. Wie die Landschaftsmaler früherer Zeiten ersteigt er die Alpen, beobachtet wie sich die Lichtsituation mit zunehmender Höhe verändert, und sucht abseits der gängigen Routen nach einsamen Stellen, in denen nichts auf das Jetzt verweist.
Richter bekennt, dass ihn ein starker Eskapismus antreibt, er sich mit der Kamera ein Idealbild von Natur erträumt. Diese Flucht in eine beseelte, unberührte Natur verbindet ihn mit Caspar David Friedrich (1774-1840). Betrachtet man Richters Aufnahmen "Sommerliche Stimmung im Gebirge" und "Steinrastl", so erinnert das glühende Orangerot der Himmel an die nach Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora mit Aerosolen geschwängerte Atmosphäre in Werken wie „Neubrandenburg im Morgennebel“ (1816) und „Küstenlandschaft im Abendlicht“ (1816/18) des Greifswalder Künstlers.
Wie eng sich Richter mit den melancholisch-ruhigen Stimmungslandschaften C.D. Friedrichs verbunden fühlt, zeigt sich noch ein weiteres Mal auf seinem Lichtbild "Steinrastl": Richter hat mit dem Gipfelkreuz ausnahmsweise ein neues Element hinzugefügt. Jenes beweist überdies, dass diese Fotografie kein Abbild der Wirklichkeit ist, denn gäbe es das Kreuz auf der Bergspitze wirklich, dann wäre es überdimensional groß!
Der Künstler liebt das Changieren der Farbe von Gestein bei besonderem Lichteinfall, etwa wenn, wie im Bild "Schwarze Schneid", sich leichter Nebel auf die kargen Felsen herabsenkt. In der Aufnahme "Torstein" entsteht dadurch eine Metamorphose: man imaginiert die schrundige Haut eines riesigen, schlafenden Trolls, der unter Schnee und Nebel versteckt ist.
Obgleich er großen Respekt vor den Urgewalten der Natur hat, geht Richter gerne ins Gebirge, wenn sich das Wetter verschlechtert. Beim "Glacier des Bossons" zog vom Tal ein Unwetter herauf, das die Bildstimmung im Abstand von wenigen Minuten komplett veränderte. Gerade nach Gewittern ergeben sich fantastische Lichtstimmungen, welche der Künstler gerne durch die Nachbearbeitung mit Farbe verstärkt, an strahlend blauen, wolkenlosen Himmeln ist er hingegen nicht interessiert. Richter hat eine innere Vorstellung von seinen Sujets und versucht in seiner Fotografie dafür ein Äquivalent zu finden.
Bedrohlich nahe rückt die Wirklichkeit jedoch mitunter an seine Aufnahmen heran: Auf der Rückseite der roten Felsen links im Vordergrund des Bildes "Glacier des Bossons" hängen zahlreiche Seile von Bergsteigern. Verlagerte sich der Standpunkt des Fotografen bei der Aufnahme "Liebener Spitze" nur etwas weiter nach links, so würden die Kolonnen von Alpinisten ins Bild treten, die auch zum Zeitpunkt der Aufnahme zum Gletscher hinaufstiegen.
Das Endliche, das im Unendlichen aufgeht, die Manifestationen des Erhabenen verleiht den Hochgebirgslandschaften ihren besonderen Charakter. Menschen, Tiere oder Straßen würden erzählerische Elemente hinzufügen und die emotionale Wirkung beim Betrachten stören. In seinem Zwiegespräch mit der übermächtigen Natur blendet Florian Richter daher nicht nur die Anwesenheit des Menschen aus, auch Tiere erscheinen nicht in seinen Bildern. Obgleich er am "Gsallkopf" die seltene Gelegenheit hatte, eine große Steinbockherde vor die Linse seiner Kamera zu bekommen, drückte er nicht auf den Auslöser. Selbst Wanderwege finden sich nur selten. Einzig in der Arbeit "Plenge" leitet ein schmaler, blumengesäumter Trampelfpfad den Blick des Betrachters aufwärts zu einer grasbewachsenen Anhöhe mit einem kleinen Kreuz an der Spitze und im Hintergrund erhebt sich majestätisch der Hausberg des Lesachtals in Kärnten. Eine Landschaft wie gemalt - gemalt vom Namensvetter Ludwig Richter (1803-1884). Diese Assoziation vermittelt auch "Nostra"(Katalog, S.1). Sicher könnte man angesichts des Kontrastes von sattgrünen Tannen und abgestorbener Baumgerippe auf einen symbolischen Bildgehalt schließen, aber Florian Richters Aufnahmen sind deutungsoffen. In einer zunehmend technisierten Welt empfindet der Künstler das ästhetische Naturerlebnis als eine lebensnotwendige Metapher persönlicher Freiheit.
Antje Lechleiter, Freiburg
Februar 2023